Rote Kapelle der Hatschepsut

last update: 25.03.2008

Historische Texte auf der Südwand
Die Erwählung der Hatschepsut durch den Götterkönig

Historische Texte
Der Schritt Hatschepsut's von einer Regentin zum Pharao und die damit verbundene Herbeiführung eines Doppelkönigtums war sicherlich ein Verstoß gegen die Maat - da es nur einen "Horus" geben konnte. Über die Motivation der Hatschepsut oder über mögliche politische Hintergründe dieses Schrittes kann man nur spekulieren, aber man darf annehmen, dass dieser Schritt sorgfältig vorbereitet wurde.
 
Gundlach (1998) hat die Etappen der Königsherrschaft und ihren rituellen Vollzug besonders am Beispiel der Hatschepsut beschrieben. Neben der Legitimation durch göttliche Zeugung und Geburt - die natürlich erst bei Übernahme der Regierung Gültigkeit erlangten und daher auch nur post eventum festgehalten wurden - musste die Regierungsübernahme (i.e. Thronbesteigung) auch sichtbar vorbereitet werden, z.B. Designation durch den Vorgänger und/oder das göttliche Orakel. Die Designation durch den Vorgänger entfällt bei Hatschepsut, sie reklamiert zwar die Erwählung zum Thronfolger durch ihren Vater, Thutmosis I., aber wohl nur im Nachhinein, denn auf Thutmosis I. folgte ja Thutmosis II.
 
Die Erwählung durch  Amun-Ra, den König der Götter, ließ sich natürlich öffentlich in Form eines Orakelspruches "veranstalten" und wurde somit für alle Anwesenden zur "realen Geschichte". In der Regel dürfte die öffentlich zelebrierte Entscheidung in Form eines Orakels nach der faktischen Thronbesteigung stattgefunden habe. Da Hatschepsut als Regentin aber bereits alle politische Macht in den Händen hielt, dürfte es kein Problem gewesen sein, das Orakel vor ihrer Thronbesteigung "stattfinden" zu lassen.
 
Die Etappen der Königsherrschaft sind bei Hatschepsut sehr gut durch Texte auf ihren Monumenten belegt. So finden sich auf den Außenwänden der Roten Kapelle der Bericht über die Erwählung durch das Orakel des Amun-Ra und auch der Bericht zur Krönung der Königin. Zum Krönungsbericht auf der Roten Kapelle gibt es eine Parallele in Djeser djeseru, dort aber als Fortsetzung der Geburtslegende im nördlichen Flügel des 2. Portikus.
Die "historischen Texte" (s. a. "Texte Historique" bei Lacau u. Chevrier, 1977 - 1979) finden sich im 2. Register (von unten), d.h.  der ersten Lage der roten Quarzit-Blöcke, speziell auf der südlichen und nördlichen Längswand.

Auf der Südwand ist der Bericht zur Orakelerwählung auf den Blöcken: 222, 35, 184, 295 (von links nach rechts) niedergeschrieben worden. Die folgende Zusammenfassung aus  Lacau u. Chevrier (1977 - 1979), sowie Transkription und deutsche Übersetzung zu diesen 4 Blöcken verdanke ich Michael Tilgner.
 
Leserichtung
Die Leserichtung der Blöcke ist etwas ungewöhnlich. Der Text bezieht sich auf die Königin, die die Kapelle durch das Westportal betritt (von links, wenn man außen vor der Südwand steht). Die Königin wendet sich zur Ostseite der Kapelle (rechts), wo sich ihr gegenüber - sozusagen "von Angesicht zu Angesicht" - der Gott Amun befindet. Die Zeichen müssten daher auf der Südseite - da sich der Text ja auf die Königin bezieht - von rechts nach links gelesen werden (und umgekehrt auf der Nordseite). Dies ist auch der Fall, denn alle Zeichen sind nach rechts ausgerichtet und somit innerhalb der Spalten von rechts nach links zu lesen.
Tatsächlich ist der Text aber retrograd geschrieben, d.h. die Leserichtung von Block zu Block und von Spalte zu Spalte innerhalb eines Blockes ist genau umgekehrt - nämlich von links nach rechts. In ihrer Publikation zur Roten Kapelle gehen Lacau u. Chevrier (1977 - 1979; in §155) auf die Gründe ein.
Die Kapelle war von einem Saal eingeschlossen, dessen Mauern etwa 20 m lang waren, so dass sich um die Kapelle herum ein Gang bildete. Wenn man nun die Spalten der Leserichtung entsprechend von rechts nach links angeordnet hätte, so hätte man bis zum Ende des Ganges gehen müssen, um den Anfang des Textes suchen zu müssen - das erscheint nicht komfortabel.
Lacau u. Chevrier verweisen auf parallele Stellen, wo aus dem gleichen Grund ebenfalls die retrograde Schreibweise verwendet wurde (z.B. die entsprechende Textversion in Deir el-Bahari).
 
Neben Lacau u. Chevrier (1977 - 1979) wurden Grimm, A., Schoske, S. (1999), Gundlach, R. (1998) und Malte Römer (2003) als Quelle herangezogen.


Block 222

[m-x.t nn] (1) wDA Hm=f Hr bjA[.t] psD.t=f m Sms.w.t=f
"[Danach] zog Seine Majestät [= Amun] aus, um 'Wunder' zu wirken; seine Götterneunheit (war) in seinem Gefolge."


nn (2) grt jr.t bjAy.t=f r aHa.w nb n nj-sw.t
"Nicht aber gab es ein Vollbringen seines 'Wunders' an irgendeinem 'Standort' des Königs."


tA r-Dr=f (3) Ssp.n sgr
"Das ganze Land, es schwieg (= begann zu schweigen)."


n rx=tw j.n Sps.w nj-sw.t
"'Nicht weiss man', sagten die Edlen des Königs"


wr.w (4) aH wAH=n Hr
"die Vornehmen des Palastes: 'Lasst uns den Kopf neigen!'"


jmj.w-x.t=f Hr sj jSst
"(und) seine Gefolgsleute: 'Warum? / Weshalb?'"


sAj.w-jb (5) xpr[.w] m tp-Sw
"Die Weisen sind an Herzen (wurden) unkundig."


jb.w=sn sdA[.w] Xr bjAy.t=f
"Ihre Herzen zitterten / bebten unter (dem Eindruck) seiner 'Wunder'."


spr (6) Hm=f r tp jtrw Hr bjAy.t aA.t wrt
"Seine Majestät (= Amun) gelangte an den Fluss, unter sehr grossen 'Wundern',"


r rw.tj n (7) aH nj-sw.t
"an den beiden Toren des Königspalastes"


ntj Hr gs n wA.t wdHw
"die auf der Seite des Opferweges sind."


m-x.t nn rdj.t
"Danach: Zukehren ..."



Block 35

(8) Hr m-xd
"des Gesichtes dem Norden."


n rx=tw ntt jr.tj=fj
"Nicht wusste man das, was er tun würde."


nn ... (9) [xr Hr-tp] Drw m xpr.w nTr pn
"ohne ... über ein Hindernis (?) in der Gestalt dieses Gottes"


wn.j[n Hm n] (10) nb-r-Dr sxd[.w] n Hr=f r jAbt.t Hr bjAy.t aA.t wrt
"Dann war die Majestät des Allherrn mit dem Kopf nach unten für sein Gesicht nach Osten, bei sehr grossen 'Wundern',"


(11) r rw.tj jmn.t aH n wsx.t n.t nn-wA=j-r=f
"bei den westlichen Türen des Palastes am Grossen Vorhof (namens) 'Nicht entferne ich mich von ihm'"


ntj Hr (12) mAa n tp itrw
"der am Ufer des Flusses war."


jw.jn rs nb.t tA.wj m-Xnw Dsr.w nw aH=s
"Da kam nun die Herrin der Beiden Länder aus der Heiligkeit ihres Palastes."


(13) wn.xr=s Hr rdj.t jAw m xsfw nb nTr.w
"Dann gab sie Lobpreis beim Nahen des Herrn der Götter"


(14) m-x.t-nn rdj.t=s sy Hr X.t=s m-bAH-a Hm=f
"Danach warf sie sich auf ihren Bauch vor Seine Majestät"


m - Block 184 -

(15) Dd
"und sagte:"


wr.wj nn r sxr.w Hm=k
"'Wie gross ist dieses gemäss den Plänen deiner Majestät! ..."

- oder auch:
jt=j pw
"... (oh), mein Vater bist du (= du mein Vater), ..."


(16) kA ntt nb.t
"... der alles Existierende erdacht hat."


jSst pw mr.t.n=k xpr
"Was ist es, das, was du liebst, dass es geschehe?"


jrj=j js (17) xft wD.t.n=k [nb]
"Ich mache auch / doch gemäss dem (allem), was Du befiehlst.'"


wn.jn Hm n nTr pn Hr bjAy.t aA.t wrt (18) aSA wr sp 2
"Da machte die Majestät dieses Gottes sehr grosse 'Wunder'; sehr oft, in grossem Masse."


m-x.t-nn rdj.t=f sy Xr-HA.t=f
"Danach setzte er sie (= Hatschepsut) vor sich ..."


s.xnt=s [= s.xnt=f sy] (19) r Hw.t aA.t mAa.t
"... und führte sie zum 'Grossen Haus der Gerechtigkeit'."


Ssp.n=s Xkr.w Hm.t=s
"Sie empfing den Schmuck ihrer Majestät (= Maat) ..."


apr.w=s n (20) Hm.t-nTr
"... (und) ihren Schmuck der Gottesgemahlin, ..."


wnn m-xnt Hw.t=f nTr
"... der im Innern seines Tempels war."


wn.jn Hm n nb-r-Dr Hr s.(21)aSA bjAy.t Hr=s
"Dann vermehrte die Majestät des Allherrn (= Amun) die 'Wunder' über sie ..."


r-gs mw.t=s qmA.t nfr[.w]=s Hw.t-Hr Hr.t-tp wAs.t
"in Gegenwart ihrer Mutter, die ihre Schönheit / Vollkommenheit geschaffen hat, Hathor, die Oberste von Theben, ..."


(22) nb.t p.t nb.t jdb.wj
"... Herrin des Himmels, Herrin der Beiden Ufer (= Ägypten) ..."


xntj.t s.t m wADy.t rnn.t sy m X.t[=s]
"... Erste am Platz in der Papyrussäulenhalle, die sie aufgezogen hat in [ihrem] Leibe.



Block 295
Der Block ist nur schwer lesbar! Lacau / Chevrier versuchen eine Rekonstruktion.


(23) ... mH Ha=s - oder - Sd Ha=s ...
"... die ihren Leib ernährt ..."


(24) ... m anx wAs ...
"... in Leben (und) Glück ..."


(25) ... r[n] wr ...
"... der Große Name ..."


(26) ........ .w.t ...
"???"

      
(27) ............ sH-nTr pn
"... dieser Gotteshalle ..."


(28)................ aA-xpr-kA-ra] .................. "......... Aa-cheper-ka-Ra ................... gemacht.. ."


(29) ..... mnw [nfr n] Hm n nTr pn
".... das schöne Denkmal für die Majestät dieses Gottes (= Amun)"


Anhand der Version des Orakeltextes aus Deir el-Bahari versuchen Lacau und Chevrier den Text der Roten Kapelle zu ergänzen. Nach der Version aus Deir el Bahari lassen sich in den Zeilen 27 und 28 folgende Zeichen ergänzen:


(27) ... m sH-nTr pn
"... in dieser Gotteshalle ..."


(28) n wAH nj-sw.t jT [m nx.t oder ähnlich] ...... nj-sw.t-bj.t aA-xpr-kA-ra.
"... für das Opfern des Königs, der sich aneignet [mit Gewalt] ..der König von Ober- und Unterägypten Aa-cheper-ka-Ra"


Abschließend ist zu vermerken, dass nach der Publikation von Lacau und Chevrier (1977 - 1979) William Murnane für einige Textstellen eine alternative Lesung bzw. Übersetzung vorgeschlagen hat (Murnane, W., "Unpublished Fragments of Hatshepsut's Historical Inscription from Her Sanctuary at Karnak", Serapis 6, 1980). Ausgehend von alten Photographien einzelner Blöcken, die sich im Besitz des Oriental Institutes, Chikago, befanden, behandelt er in dieser Publikation nicht nur den schwer lesbaren Block 295, sondern befasst sich auch mit den Blöcken 286 und 280, die ebenfalls in das 2. Register gehören und bereits im Altertum wieder verbaut worden waren (von Ramses II), wobei ihre Inschriften weitgehend zerstört wurden.
Die Unterschiede zur Publikation von Lacau und Chevrier stuft Murnane als von "nicht grundsätzlicher Bedeutung" ein, daher wird hier lediglich auf seine Publikation hingewiesen.


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Copyright: Dr. Karl H. Leser (Iufaa)